Wednesday, 26. July 2006
Statt Mauern Brücken bauen
Evelyn Böhmer-Laufer
Evelyn Böhmer-Laufer
peacecamp, 17:44h
J. ist Palästinenserin und lebt in Jerusalem. Den Fragebogen über das peacecamp füllt sie in Englisch aus; mit ihren palästinensischen Klassenkameradinnen unterhält sie sich auf Englisch; sie spricht wohl Arabisch, lesen und schreiben fällt ihr aber in Englisch leichter; sie besucht das Anglikanische Gymnasium in Jerusalem, eine Privatschule mit Englisch als Unterrichtssprache. Sie liebt Clubbings, coole Shirts, tanzen, ihre Busenfreundin M., Hip-Hop und flirten mit den älteren Jungs vom Camp. Sie ist Feministin und äußert sich klug und kritisch über die in der arabischen Welt übliche untergeordnete Rolle der Frau: zu Hause bleiben und Kinder groß ziehen, kochen, sich dem Mann unterordnen, den Mann um Geld bitten und für alles Rechenschaft ablegen müssen - ein für sie unvorstellbares Rollenbild, dem sie nichts abgewinnen und das sie nicht billigen kann.
Sie lebt in Jerusalem, gleich am Checkpoint; wenn sie schnell was einkaufen gehen will, muss sie ihn passieren und fühlt sich dann ganz der Willkür der israelischen Soldaten, die kaum älter sind als sie, ausgeliefert. Oft wird sie am Checkpoint bevorzugt - schneller, weniger schikanös - behandelt als andere, ältere Frauen oder Männer, die den Checkpoint auf ihrem tagtäglichen Weg zur Arbeit passieren müssen. Diese „bessere“ Behandlung ist ihr zuwider, gilt sie doch ihr, dem schönen, jungen Mädchen und nicht ihr, dem Menschen. Sie verabscheut die Blicke der Soldaten am Checkpoint und noch mehr ihre Hände, die sie zum Zwecke der Überprüfung betasten dürfen. Gern würde sie den Soldaten sagen, was sie von deren Macho-Gehabe hält, lässt dies aber aus pragmatischen Gründen bleiben: Sie möchte keine Probleme bekommen, sondern nur schnell den Checkpoint passieren und ihres Weges gehen dürfen.
H. und R. leben in Sderot und sprechen weniger gut Englisch als die anderen TeilnehmerInnen des peacecamps. „Wir haben niemals mehr als drei Stunden Unterricht hintereinander.“ erzählt H., sich für sein fehlerhaftes Englisch rechtfertigend. “Immer wieder ertönen Sirenen von Einsatzfahrzeugen, immer wieder hört man den Aufprall einer Kassam-Rakete; immer wieder muss man auf der Stelle aus der Klasse und in den Luftschutzraum.“ Er könne deswegen „weder bei Tag noch bei Nacht schlafen“ und schon deswegen dem Unterricht nicht wirklich folgen.
H. wirkt traurig, depressiv und ängstlich. Den Gruppenleitern traut er zunächst nicht; er weiß nicht, wie Menschen einzuschätzen, ist sich des Wohlwollens Anderer gar nicht sicher. Er versteckt sich unter der Bettdecke, möchte gar nicht aufstehen; die Gruppendiskussionen machen ihm Angst: Was will man eigentlich von ihm? Will man ihn testen? Ist all das hier ein mysteriöses psychologisches Experiment? Ist das Wort „peacecamp“ nur Tarnung für ein Labor, sind er und die Anderen hier „Ratten“ in einer Art „Labyrinth“?
Dass man von ihm nichts will, sondern viel mehr bestrebt ist, ihm etwas zu geben - ein paar Tage Erholung von dem tagtäglichen Horror, den er lebt, einige seinem Alter entsprechenden sportlichen und kreativen Aktivitäten - dass ihm niemand Böses will und er hier einfach er selbst sein darf, begreift er erst allmählich. Als er das versteht und auch annehmen kann, erfüllt ihn große Dankbarkeit, und er versäumt keine Gelegenheit, sich zu bedanken: „Danke, dass ihr so ein peacecamp macht, danke, dass ich mit durfte, danke für die Feier von gestern", danke für dies und jenes. Die übergroße Dankbarkeit ist uns Erwachsenen peinlich, ist sie doch, angesichts dessen, was man ihm hier tatsächlich zu bieten hat, etwas übertrieben – ebenso wie das anfängliche Misstrauen der Situation nicht angemessen war. Man hat ihm und den anderen Jungs und Mädchen, die für zehn Tage nach Franzen ins Waldviertel kamen, nicht viel mehr gegeben als das, was jedem Kind, jedem Jugendlichen täglich zustehen würde – Sicherheit, Geborgenheit, Verpflegung und etwas „Fun“. Auch hier können viele nachts nicht schlafen, aber nicht, weil Kassam-Raketen oder Selbstmordattentate sie aus dem Schlaf reißen, sondern weil sie hier die Tage und die Nächte brauchen, um das aufzuholen, was sie daheim, in ihrem Leben und Alltag versäumen: die Möglichkeit, ausgelassen und lustig zu sein, den Erwachsenen einen Streich zu spielen, zu lachen, zu basteln, zu klettern und nachts Feste zu feiern, genau wie es Menschen ihres Alters überall und in jeder Kultur gerne tun.
Auch R. lebt in Sderot; wie H. ist auch sie religiös und singt gern leuchtendes Auges Shir Hama’alot, jenen Psalm, mit dem man G'tt während der Geburt eines Kindes preist und der symbolisiert, dass die Erziehung eines jüdischen Kindes bei dessen Geburt ihren Anfang nimmt. R.s Vater ist Rettungsfahrer und erlangte traurige Berühmtheit, als er nach einem Terroranschlag auf den Kibbutz, in dem seine Familie lebt, sein eigenes, nur 7 Monate altes Enkelkind aus den Flammen bergen und retten konnte. In den darauf folgenden zwei Jahren musste dieses Enkelkind zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen und ist immer noch nicht völlig genesen.
Trotzdem hat R. immer, aber auch immer, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht, singt immer wieder stolz und voller Freude Shir Hama’alot und sagt: „Unser Leben in Sderot ist schrecklich. Es vergehen kaum ein paar Stunden, ohne dass irgendetwas passiert. Aber ich habe hier gelernt, dass es auch für die Anderen sehr schwer ist. Es ist sehr notwendig, zu verstehen, dass es auch die Anderen sehr schwer haben, genau so schwer wie wir. Wenn es beide verstehen, kann es vielleicht ein Ende (der Gewalt) geben“.
Am letzten Tag des peacecamps sieht man I. und J. in inniger Umarmung von einander Abschied nehmen. I., den religiösen Jungen mit politischen Statements auf seinen T-Shirts: „Hinaus aus Gaza“ steht darauf oder „peace now“. In J., dem palästinensischen Mädchen, das nahe dem Checkpoint lebt, hat er seine Seelenverwandte gefunden: „Dieses Camp war das Beste, das wir je erlebt haben,“ sind sie sich einig, „weil der Weg zum Frieden über den Dialog, die Verständigung führen“ müsse: Wir müssen Brücken bauen, keine Mauern, sagen beide.
Ihre Umarmung ist für die Brücke zum Frieden ein erster Baustein.
Den letzten Tag verbrachten alle in Wien: Von der Liliput-Bahn gesponsert durften sich alle im Wiener Wurstelprater austoben und im Prater-Restaurant "Luftburg" zu Mittag essen.
Zum abendlichen Abschlussfest lud das Restaurant Ma Pitom. Die überraschend große Zahl an Gästen und die ausgelassene Stimmung führte dazu, dass sich die Feier zu einem spontanen Straßenfest verwandelte, dem der Wiener Stadttempel und das Ma Pitom eine prächtige Kulisse boten. Bald war die Seitenstettengasse vom Tanz und Gesang der Jugendlichen erfüllt, dem sich viele Anwesende begeistert anschlossen. Der nahe gelegene Shomer Hatzair bot schließlich, unter der Mithilfe zahlreicher Chanichim, allen TeilnehmerInnen des peacecamps Obdach für die letzte Nacht.
Am peacecamp 2006 waren 33 Teilnehmer aus vier Kulturen: ungarische, österreichische, israelische und palästinensische Jugendliche von 14 bis 18 Jahren.
peacecamp 2006 – ein Projekt unter der Schirmherrschaft von Hadassah Austria - wurde unterstützt von der Europäischen Union, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der Karl Kahane-Stiftung sowie vielen privaten Förderern und Gönnern.
Sie lebt in Jerusalem, gleich am Checkpoint; wenn sie schnell was einkaufen gehen will, muss sie ihn passieren und fühlt sich dann ganz der Willkür der israelischen Soldaten, die kaum älter sind als sie, ausgeliefert. Oft wird sie am Checkpoint bevorzugt - schneller, weniger schikanös - behandelt als andere, ältere Frauen oder Männer, die den Checkpoint auf ihrem tagtäglichen Weg zur Arbeit passieren müssen. Diese „bessere“ Behandlung ist ihr zuwider, gilt sie doch ihr, dem schönen, jungen Mädchen und nicht ihr, dem Menschen. Sie verabscheut die Blicke der Soldaten am Checkpoint und noch mehr ihre Hände, die sie zum Zwecke der Überprüfung betasten dürfen. Gern würde sie den Soldaten sagen, was sie von deren Macho-Gehabe hält, lässt dies aber aus pragmatischen Gründen bleiben: Sie möchte keine Probleme bekommen, sondern nur schnell den Checkpoint passieren und ihres Weges gehen dürfen.
H. und R. leben in Sderot und sprechen weniger gut Englisch als die anderen TeilnehmerInnen des peacecamps. „Wir haben niemals mehr als drei Stunden Unterricht hintereinander.“ erzählt H., sich für sein fehlerhaftes Englisch rechtfertigend. “Immer wieder ertönen Sirenen von Einsatzfahrzeugen, immer wieder hört man den Aufprall einer Kassam-Rakete; immer wieder muss man auf der Stelle aus der Klasse und in den Luftschutzraum.“ Er könne deswegen „weder bei Tag noch bei Nacht schlafen“ und schon deswegen dem Unterricht nicht wirklich folgen.
H. wirkt traurig, depressiv und ängstlich. Den Gruppenleitern traut er zunächst nicht; er weiß nicht, wie Menschen einzuschätzen, ist sich des Wohlwollens Anderer gar nicht sicher. Er versteckt sich unter der Bettdecke, möchte gar nicht aufstehen; die Gruppendiskussionen machen ihm Angst: Was will man eigentlich von ihm? Will man ihn testen? Ist all das hier ein mysteriöses psychologisches Experiment? Ist das Wort „peacecamp“ nur Tarnung für ein Labor, sind er und die Anderen hier „Ratten“ in einer Art „Labyrinth“?
Dass man von ihm nichts will, sondern viel mehr bestrebt ist, ihm etwas zu geben - ein paar Tage Erholung von dem tagtäglichen Horror, den er lebt, einige seinem Alter entsprechenden sportlichen und kreativen Aktivitäten - dass ihm niemand Böses will und er hier einfach er selbst sein darf, begreift er erst allmählich. Als er das versteht und auch annehmen kann, erfüllt ihn große Dankbarkeit, und er versäumt keine Gelegenheit, sich zu bedanken: „Danke, dass ihr so ein peacecamp macht, danke, dass ich mit durfte, danke für die Feier von gestern", danke für dies und jenes. Die übergroße Dankbarkeit ist uns Erwachsenen peinlich, ist sie doch, angesichts dessen, was man ihm hier tatsächlich zu bieten hat, etwas übertrieben – ebenso wie das anfängliche Misstrauen der Situation nicht angemessen war. Man hat ihm und den anderen Jungs und Mädchen, die für zehn Tage nach Franzen ins Waldviertel kamen, nicht viel mehr gegeben als das, was jedem Kind, jedem Jugendlichen täglich zustehen würde – Sicherheit, Geborgenheit, Verpflegung und etwas „Fun“. Auch hier können viele nachts nicht schlafen, aber nicht, weil Kassam-Raketen oder Selbstmordattentate sie aus dem Schlaf reißen, sondern weil sie hier die Tage und die Nächte brauchen, um das aufzuholen, was sie daheim, in ihrem Leben und Alltag versäumen: die Möglichkeit, ausgelassen und lustig zu sein, den Erwachsenen einen Streich zu spielen, zu lachen, zu basteln, zu klettern und nachts Feste zu feiern, genau wie es Menschen ihres Alters überall und in jeder Kultur gerne tun.
Auch R. lebt in Sderot; wie H. ist auch sie religiös und singt gern leuchtendes Auges Shir Hama’alot, jenen Psalm, mit dem man G'tt während der Geburt eines Kindes preist und der symbolisiert, dass die Erziehung eines jüdischen Kindes bei dessen Geburt ihren Anfang nimmt. R.s Vater ist Rettungsfahrer und erlangte traurige Berühmtheit, als er nach einem Terroranschlag auf den Kibbutz, in dem seine Familie lebt, sein eigenes, nur 7 Monate altes Enkelkind aus den Flammen bergen und retten konnte. In den darauf folgenden zwei Jahren musste dieses Enkelkind zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen und ist immer noch nicht völlig genesen.
Trotzdem hat R. immer, aber auch immer, ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht, singt immer wieder stolz und voller Freude Shir Hama’alot und sagt: „Unser Leben in Sderot ist schrecklich. Es vergehen kaum ein paar Stunden, ohne dass irgendetwas passiert. Aber ich habe hier gelernt, dass es auch für die Anderen sehr schwer ist. Es ist sehr notwendig, zu verstehen, dass es auch die Anderen sehr schwer haben, genau so schwer wie wir. Wenn es beide verstehen, kann es vielleicht ein Ende (der Gewalt) geben“.
Am letzten Tag des peacecamps sieht man I. und J. in inniger Umarmung von einander Abschied nehmen. I., den religiösen Jungen mit politischen Statements auf seinen T-Shirts: „Hinaus aus Gaza“ steht darauf oder „peace now“. In J., dem palästinensischen Mädchen, das nahe dem Checkpoint lebt, hat er seine Seelenverwandte gefunden: „Dieses Camp war das Beste, das wir je erlebt haben,“ sind sie sich einig, „weil der Weg zum Frieden über den Dialog, die Verständigung führen“ müsse: Wir müssen Brücken bauen, keine Mauern, sagen beide.
Ihre Umarmung ist für die Brücke zum Frieden ein erster Baustein.
Den letzten Tag verbrachten alle in Wien: Von der Liliput-Bahn gesponsert durften sich alle im Wiener Wurstelprater austoben und im Prater-Restaurant "Luftburg" zu Mittag essen.
Zum abendlichen Abschlussfest lud das Restaurant Ma Pitom. Die überraschend große Zahl an Gästen und die ausgelassene Stimmung führte dazu, dass sich die Feier zu einem spontanen Straßenfest verwandelte, dem der Wiener Stadttempel und das Ma Pitom eine prächtige Kulisse boten. Bald war die Seitenstettengasse vom Tanz und Gesang der Jugendlichen erfüllt, dem sich viele Anwesende begeistert anschlossen. Der nahe gelegene Shomer Hatzair bot schließlich, unter der Mithilfe zahlreicher Chanichim, allen TeilnehmerInnen des peacecamps Obdach für die letzte Nacht.
Am peacecamp 2006 waren 33 Teilnehmer aus vier Kulturen: ungarische, österreichische, israelische und palästinensische Jugendliche von 14 bis 18 Jahren.
peacecamp 2006 – ein Projekt unter der Schirmherrschaft von Hadassah Austria - wurde unterstützt von der Europäischen Union, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, der Karl Kahane-Stiftung sowie vielen privaten Förderern und Gönnern.
... comment